Beschreibung |
»Wo ist der Morgen, den wir gestern sahen?« fragen die Künstler*innen der aktuellen Ausstellung der Universitätsgalerie »Nova Space«. Unterschiedliche Auslegungen der Vergangenheit, Unmut über die Art und Weise wie Geschichte(n) geschrieben werden, Lehren, die aus dem Geschehenen zu ziehen sind, Gegenwartsdiagnosen, Zukunftsprognosen, Handlungsempfehlungen, Spekulationen usw. sind Resultat einer kritischen Auseinandersetzung mit Fragen, die gesellschaftliche Protagonist*innen an ihre Mitwelt stellen. Häufig ist auch von den ”großen Fragen unserer Zeit” die Rede, auf welche Antworten gefunden werden müssen. Doch wer ist berechtigt, letztere zu geben? Wer stellt überhaupt die großen Fragen und erstarren wir nicht in dem Versuch, sie zu beantworten, weil wir überwältigt werden von den Anforderungen angesichts der Komplexität und des Risikos, eine falsche Antwort zu liefern? Wer übernimmt die Verantwortung, wenn die Antworten nicht das gewünschte Ergebnis erzielen?
Welche Erwartungen werden gestellt: an Künstler*innen, an Gestalter*innen, an Vermittler*innen, an Pädagog*innen? (Wie) unterscheiden sich Erwartungen? Die Erwartungen an Lehrkräfte bspw. sind häufig hoch. Sie müssen Verantwortung übernehmen. Doch wofür eigentlich? Sie sollen Heranwachsende gesellschaftsfähig bilden, sie dabei unterstützen, Antworten zu finden.
Welche Fragen haben überhaupt Relevanz? Wer entscheidet (wie) was Relevanz hat? Welche Relevanz hat es, eine werdende Linie zu befragen? Welche Fähigkeiten, welches Wissen bzw. welche Kompetenzen sollten Heranwachsende ausbilden? Welche Fähigkeiten und welches Wissen brauchen Lehrkräfte/Vermittelnde, um antworten zu können und ihrer Verantwortung gerecht zu werden? Kann Antwortfähigkeit trainiert werden? Sollten wir überhaupt trainieren? Welche Narrative sind mit dem Bild des Muskels sowie des Trainings verbunden? Wie können wir anders fragen und antworten als jene unternehmerischen Geister, die längst auch den Begriff der ‘Agency’ oder ‘Response-Ability’ aufgegriffen haben, um für ihren Weg des Antwortens zu werben? Was bedeutet es, postfundamentalistisch zu fragen?
Warum stelle ich eigentlich so viele Fragen, wenn es vermeintlich um’s Antworten gehen soll?
Dieses Seminar soll ein Experimentier- und Lernraum werden, in welchem wir uns Mittel und Wege erarbeiten, relevante Fragen zu formulieren und Antwortmöglichkeiten aufzuzeigen. Wir werden üben, angesichts der Komplexität unserer Welt, ambivalenter Bedingungen pädagogischen Handelns, kontingenter Tatsachen, Brüchen und Widersprüchen in Argumentationen zum Trotz, in wohl-wissendem Nichtwissen und gegen vermeintliche Erwartungshaltungen arbeitend nicht zu verzweifeln. Wir werden üben, uns Orientierungspunkte zu schaffen und gleichzeitig ”unruhig” (Haraway) zu bleiben. Wir werden üben, unser ‘tacit knowledge’ zu verstehen, Verhalten zu reflektieren und zu begründen, zu evaluieren, statt zu normieren, um schließlich Haltungen (weiter)zu entwickeln, die weder steif noch fluide, sondern eher rhizomatisch (Deleuze/Guattari) sind. Dafür müssen wir ver/um/neulernen. Dies auch mit dem Ziel, in unseren Handlungen selbstbewusster unserer Frage- und Antwort-Verantwortung Ausdruck zu verleihen, unsere Neugier in einem responsiven Verhältnis zu übertragen, Aufmerksamkeiten zu fördern, Spaß zu haben, Begegnungen als Angebote zu schaffen, kritikfähig zu sein, zu gestalten.
Wir werden Begriffe wie ‘Verantwortung’, ‘Response-Ability’ oder ‘Agency’ kritisch befragen und mehrere Blicke in den wissenschaftlichen Diskurs werfen. Wir werden Zitaten u. A. von Donna Haraway, Hannah Arendt, Bell Hooks, Jaques Rancière, Paulo Freire, Jaques Derrida, John Dewey, Martha Nussbaum, Bruno Latour, Dirk Baecker, Gilles Deleuze und Felix Guattari begegnen und uns bei unseren gedanklichen Reaktionen beobachten. Wir werden bei Kunstdidaktiker*innen, Kunstvermittler*innen und Kunstpädagog*innen nachfragen, welche Fragen sie sich gestellt und welche Antworten sie sich erarbeitet haben. Wir werden zuschauen und zuhören, wenn wir Künstler*innen und/oder ihren Arbeiten begegnen. Auch Bildern, Steinen, Linien, Wind kann zugehört werden, wenn sie antworten. Wir müssen sie nur (be)fragen.
Nicht zuletzt, sondern unbarmherzig immer wieder, werden wir uns selbst befragen. Wir werden zu-, hin- und aufhören, zu-, hin- und aufschauen, improvisieren, experimentieren, reflektieren und evaluieren und ggf. auch (künstlerische / didaktische) Strategien entwickeln. Strategien, die zu künstlerischen (Studierende Freie Kunst, Medienkunst, MFA Public Art, Visuelle Kommunikation, etc.), oder didaktischen Interventionen (Lehramt Kunst) werden oder zu einer Konzeptentwicklung, denn wir wollen nicht nur theoretisieren, sondern vor allem ins Handeln kommen. Im Sommersemester kann das Seminar auf- und ausbauend weitergeführt werden.
Wer Interesse daran hat, die Funktionsweise eines bisher unbekannten Muskels zu untersuchen, darf sich ab sofort hier in den Arbeitsprozess einzeichnen:
https://app.conceptboard.com/board/x600-xs2z-a29a-17gu-hc0k |