Beschreibung |
Open Access: unsere Gesellschaft befindet sich aktuell abermals in einem strukturellen Wandel. Die Geschwindigkeit des Fortschritts, die mediale Überforderung durch die sozialen Medien und das Schwinden traditioneller Bindungen fester Gemeinschaften, wie Familie, Kirche oder Nachbarschaft empfinden viele als Verlust. Diese Erfahrungen scheinen nicht mehr rational verarbeitbar zu sein. Die Kompetenz und die Bereitschaft, sich der Komplexität einer offenen Gesellschaft zu stellen, gehen verloren. Anstatt sich jedoch diese Verlustängste einzugestehen, gibt es eine neue Sehnsucht nach einfachen Lösungen. Die sozialen Medien eröffnen dem Populismus neue Möglichkeiten, was Ängste schürt und alte Ressentiments weckt. Im Ergebnis spaltet sich die Gesellschaft auf. Anstatt nach neuen Formen der Integration und der Inklusion zu suchen, feiern sämtliche Formen der Abschottung, des Rassismus und Nationalismus ein Comeback.
Die Universität muss eine entschiedene Gegenposition zum vorherrschenden Populismus aufrechterhalten. Stoisch geht es darum, zu verdeutlichen, dass nur differenzierte Argumente auf Basis wissenschaftlich belegter Fakten am Ende auch zu sinnvollen Problemlösungen führen. Die Qualität der Bildung aller war der wesentliche Faktor für den wirtschaftlichen Aufstieg Deutschlands zu einer der führenden Wirtschaftsnationen. Und nur über eine gezielte Weiterbildung können wir der Herausforderung der Integration begegnen und so unsere Gesellschaft wieder öffnen.
Wir wollen uns in diesem Semester mit diesem Thema auseinandersetzen und suchen einen neuen Ort des Zusammenkommens und der Weiterbildung. Wir stellen uns die Frage, ob wir wieder Räume für Alle schaffen können, die die architektonische Kraft besitzen, Schwellen abzubauen und Menschen verschiedenster kultureller Herkunft anzuziehen. Orte, die neben der digitalen, medialen Präsenz einen Ausdruck vor Ort finden, der alle zur Teilhabe einlädt.
Bereits die Idee der Social Condensers der russischen Konstruktivisten verfolgte die Vorstellung, eine neue Form des öffentlichen Gebäudes für Alle zu schaffen. Das Hauptziel des Social Condensers bestand darin, die Gestaltung öffentlicher Räume zu beeinflussen, um wahrgenommene soziale Hierarchien zu dekonstruieren und sozial gerechte Räume zu schaffen.
Das Ziel war es, öffentliche Räume mit Zugang für Alle, unabhängig von finanziellem Status, der kulturellen Vorprägung oder dem Bildungsstand, zu schaffen. In den 1960er Jahren hat die Diskussion um solche Orte des Zusammenkommens auch in Westeuropa wieder Fahrt aufgenommen. Viele der klassischen Kultureinrichtungen, wie Museen, Oper und Theater waren festgefahren. Die Institutionen wirkten verschlossen und nur einer kleinen Gruppe von Bildungsbürgern zugänglich. Accessibility wurde zu einem der wichtigsten Schlagworte. Eintrittspreise wurden abgeschafft, das Hauptprogramm wurde für neue Inhalte geöffnet und neue pädagogische Rahmenprogramme wurden installiert. Nach und nach bekamen andere Kulturen, gesellschaftliche Randgruppen und die Subkultur ihren Raum. Trotzdem blieben die Schwellen.
In Brasilien gab es in den 1960er Jahren ganz andere Herausforderungen. Mit der Industrialisierung waren die Großstädte im Land rasant gewachsen. Die neu zugezogenen Arbeiter und ihre Familien kamen vom Land und waren weitgehend ungebildet. Die meisten hatten nie eine Schule besucht, viele waren Analphabeten. Aus diesem Grund haben Unternehmer für ihre Arbeiter*innen die Servicio Social do Comércio SESC gegründet. Ähnlich unseren Volkschulen, sind die SESC gleichzeitig Bildungs-, Sport- und Kultureinrichtung. Die SESC sollten den Arbeiter*innen und ihren Familien einen einfachen Zugang zu Weiterbildung schaffen. Gleichzeitig sind sie zu einem offenen Raum des Austausches geworden. Mit einem breiten Programm für Sport, Theater und Tanz, Heim- und Handwerk ergeben sich für Alle Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Die beiden berühmtesten SESC Centros sind das SESC 24 de Maio von dem Architekturbüro MMBB und Paulo Mendes da Rocha und das SESC Fábrica da Pompéia von der Architektin Lina Bo Bardi. Beide gebaut in Sao Paulo, steht jedes Projekt für sich auch für eine ungewöhnliche Architektur. Eine der wichtigen Herausforderungen war dabei die Ausbildung der Schwellen, damit Alle das Gefühl haben, willkommen zu sein. Im London der 1990er Jahre hat man hingegen die Architektur alter Kaufhäuser für die Gestaltung neuer Stadtteilbibliotheken kopiert. Die großen Eingänge und Rolltreppen wurden übernommen, in der Hoffnung, mit dieser Architektur, die alle Bürger*innen kennen, die Schwellen des Zugangs abzubauen. Das berühmteste Beispiel ist der Idea Store in Whitechapel, London von David Adjaye.
Allen Beispielen ist ihre Rolle als Inseln im Stadtgefüge gemein, die selbst wie eine Stadt in der Stadt funktionieren. Eine Heterotopie, ein Ort mit anderen, freieren Regeln des Zusammenkommens.
Der Strukturwandel bietet auch Chancen. Die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Kräften haben sich schon immer im Stadtraum abgebildet. Der Verteilungskampf um Fläche und Raum, um die Formen der Repräsentation und die Art der Nutzungen zeichnet sich nirgends so stark ab wie im öffentlichen Raum. Seine Endlichkeit und der hohe Druck der Verwertung verdeutlichen sich in den Auseinandersetzungen um die Innenstädte großer Metropolen. Orte des Konsums, wie zunehmen leerstehende Kaufhäuser können dabei neu besetzt werden, neue Teilzentren können so mitten in der Großstadt die Gewichte verschieben.
Ort des Entwurfs ist Düsseldorf Flingern. Ein Grundstück zwischen Bahngleisen, Heizkraftwerk und Zeche. Mit ein paar lose zusammenstehenden Bestandsbauten, die nur im Kontext der Nachbarschaft eine Kraft entfalten.
Flingern ist ein traditionelles Arbeiterwohnquartier östlich der Düsseldorfer Innenstadt. Der Anteil nichtdeutscher Staatsbürger mit über 30 %, die Arbeitslosenquote mit über 25 % liegen deutlich über dem Durchschnitt der Stadt.
Es ist nicht das berühmte Düsseldorf am Rhein, mit der Königsallee, den Altstadtkneipen und japanischen Luxusrestaurants. Flingern liegt auf der anderen Seite der Bahngleise. Als Ankunftsort der Migrant*innen, geprägt von Armut sowie der unterschiedlichen Sozialisation und Herkunft seiner Bürger*innen, ist hier eine vielfältige, ganz eigene Stadtkultur entstanden. Ein idealer Stadtteil für einen neuen Ort der Begegnung und der Integration. |
Leistungsnachweis |
Städtebaulicher Entwurf, Konzept Text und Skizzen
Lageplan 1:1000, Modell 1:1000
Vertiefungsbereich
Grundrisse, Schnitte, Ansichten 1:200, Zwei räumliche Darstellungen, Analysezeichnungen 1:1000, Thesen
Text zum Projektprogramm
Architektonische Vertiefung
Detail Übergang vom privaten zum öffentlichen Raum 1:50, Modell des Übergangsbereichs 1:50 |