Das 4. Kernmodul ist eine Einführung in das städtebauliche Entwerfen. Gemeinsam setzen sich Studierende der Urbanistik und der Architektur mit einer städtebaulichen Fragestellung auseinander und lernen in dem Entwurfsstudio, in didaktisch aufeinander aufbauenden Phasen von der Analyse über die Konzeptfindung bis zur Ausarbeitung des städtebaulichen Entwurfs in Plänen und Modellen, sich gemeinsam im Team konsequent einen städtebaulichen Entwurf zu erarbeiten. Zwischenpräsentationen nach den einzelnen Phasen helfen, den eigenen Arbeitsstand zu reflektieren und einzuordnen. Die gemeinsame Zusammenarbeit untereinander und zwischen den Disziplinen ist ein wichtiger Bestandteil des Kernmoduls.
Common Ground: Momentan befinden wir uns innerhalb eines gesellschaftlichen Strukturwandels. Die Geschwindigkeit des Fortschritts, die Umbrüche und der Verlust an traditionellen Bindungen erleben viele als Verlust. Die neuen Erfahrungen scheinen für viele nicht mehr rational erfassbar zu sein. Ängste entstehen und führen zu einer politischen Radikalisierung.
Wenn wir davon ausgehen, dass der öffentliche, allen Bürger*innen zugängliche Raum das konstituierende Element der Europäischen Stadt ist, wollen wir in diesem Semester hinterfragen, ob es nach wie vor möglich ist, diesen Stadtraum so zu gestalten, dass er wieder zu einem Common Ground, zu einer gemeinsamen Verständigungsbasis wird.
Wir setzen uns aus diesem Grund in diesem Semester mit dem Juri-Gagarin-Ring in Erfurt auseinander. Geplant in Anlehnung an die großen Ringstraßenprojekte des 19. Jahrhunderts wurden auch in Erfurt die Befestigungsanlagen geschliffen und anstelle der Wallanlagen eine Ringstraße angelegt. Die damalige Allee war flankiert von historistischen Villen der Gründerzeit und hat als öffentlicher Raum die Altstadt mit den Vorstädten verbunden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele der Häuser und Teile der Altstadt abgerissen, um eines der großen DDR-Stadtumbauprogramme umzusetzen. Die Straße wurde zu einer vielspurigen autogerechten Verkehrsachse. Einzelne moderne Hochhausensembles an den wichtigen Zufahrtsachsen wurden als Demonstration der neuen Zeit erbaut. Besonders auffällig und eindrucksvoll als neue Stadtzufahrt nach Erfurt ist das Ensemble von drei geknickten Wohnscheiben an der Kreuzung zur Löberstraße. Mit der Wende 1989 haben sich die Zeiten geändert, die Moderne – auch die Moderne sozialistischer Prägung der DDR – wurde fortan beinahe ausschließlich kritisch bewertet. Entlang des Juri-Gagarin-Rings wurden wenige kommerzielle Bauten ergänzt. Zurückgeblieben ist ein komplexer, geschichtlich gewachsener Stadtraum, in dem die einzelnen Architekturen zum Teil völlig unvermittelt nebeneinanderstehen. Ein Straßenraum, der sich den Bedingungen des automobilen Individualverkehrs unterordnet.
Im Sinne einer Stadtreparatur interessiert uns, ob wir die ursprüngliche Idee des Stadtrings als Prachtstraße für alle Bürger*innen wieder aktivieren können. Wir fragen uns, ob wir heute wieder eine verbindliche Stadtarchitektur schaffen können, die auf der einen Seite einen sinnvollen Umgang mit der bestehenden Architektur und ihrer Geschichte findet und auf der anderen Seite die Nutzbarkeit des Rings und die Lesbarkeit der heterogenen, im letzten Jahrhundert entstandenen Architektur erhöht, um wieder einen für alle verbindenden öffentlichen Stadtraum zwischen Altstadt und deren Umgebung zu entwickeln.
Zu Beginn des Semesters werden gemeinsam Analysezeichnungen der Stadt erarbeitet und ein Umgebungsmodell angefertigt. Die Exkursion nach Erfurt dient den Teilnehmer*innen dazu, sich mittels Besichtigungen wichtiger Architekturen, Vor-Ort-Führungen von Expert*innen sowie Gesprächen mit Anwohner*innen ein städtebauliches und (sozial-)räumliches Bild von der Stadt zu erarbeiten. Dazu dienen auch die künstlerischen Übungen. Alle weiteren Workshops, Konsultationen und Zwischenpräsentationen finden im Atelier statt. Die Teilnahme an den Exkursionen und die Anwesenheit im Atelier an den Entwurfstagen ist verpflichtend. Eine Zusammenarbeit in Dreierteams wird angestrebt. Da die Abgabeleistungen nicht allein erbracht werden kann, ist auch die Zusammenarbeit in Teams obligatorisch.
Die Vorlesung „Die Geschichte des Europäischen Städtebaus” für das 2. Semester der Urbanistik wird auch allen Architekturstudierenden empfohlen. |