Jeder Entwurf beginnt mit einem Kontext: Gesellschaftlich, kulturell, geschichtlich – aber auch baulich. Alle Eingriffe verhalten sich zu diesem Kontext. Um einen Ort weiterbauen zu können ist es also erforderlich, das Bestehende zu kontextualisieren.
Unser Blick wendet sich im Wintersemester nach Berlin. Diese Metropole wurde wie kaum eine andere in ihrer baulichen Substanz durch die Leitbilder der aufeinander folgenden Epochen geprägt. Jede Zeit versuchte, der Stadt ihren Stempel aufzudrücken. Daraus resultiert heute ein dichtes Patchwork von Gebäuden und Stadträumen, die sich nicht nur in ihrem Alter unterscheiden, sondern jeweils auch Ausdruck der Ideologien ihrer Zeit sind.
Exemplarisch für die Zeit des grenzenlosen Fortschrittsglaubens der 1960er Jahre ist die städtebauliche Entwicklung des wirtschaftliche Zentrum Westberlins im Bereich um die Gedächtniskirche. Unser Grundstück liegt prominent an einer damals dem Paradigma der autogerechten Stadt folgenden, neu angelegten Autoschneise. Darauf markiert das zwischen 1964-1967 von Werner Düttmann, Karlheinz Fischer und Klaus Bergner entworfene Bürogebäude An der Urania 4-10 den Eingang zur City West. Die Abkehr von der Dominanz des Autos und die Rückbesinnung auf das Leitbild der durch klare Raumkanten geformten Straßenräume führte zu einem 2018 initiierten Werkstattverfahren. Dessen Ergebnis sah vor, das Straßenprofil zu schärfen, indem Bebauung und Grünstreifen neu gefasst werden. Das Bürogebäude mit seinen markanten Rücksprüngen sollte abgerissen und durch einen eckbetonten Neubau ersetzt werden. Seitdem überschlugen sich die Ereignisse. Mit dem Rückbau des Gebäudes wurde gerade begonnen. Dann forderte in der 97. Sitzung des Baukollegiums Berlin am 03.07.2023 kürzlich das Architekturkollektiv urban fragment observatory (UFOUFO), das Bürogebäude An der Urania 4-10 als besonders erhaltenswerte Bausubstanz einzustufen, den Abriss zu stoppen und stattdessen eine Machbarkeitsstudie für die Anpassung der städtebaulichen Neuordnung des Kreuzungsbereichs unter Erhalt der Bestandsstruktur zu empfehlen. Abermals ein Paradigmenwechsel.
Wir interessieren uns aus einem weiteren Grund für das Gebäude: Aufgrund der Klimakrise ist es zunehmend notwendig, Bestehendes zu wahren und durch bauliche Veränderungen für die Aufnahme neuer Programme weiterzuentwickeln. Daher wollen wir in diesem Semester das Potenzial einer baulichen Umstrukturierung und Ergänzung des Gebäudes untersuchen und so die Geschichte eines bedeutenden Bausteins der City West fortschreiben. |